Bewusstsein für nachhaltiges Bauen – Trends in der Architektur

Nachhaltiges Bauen ist weitaus mehr als ein Trend. Nachhaltiges Bauen fordert unser gesamtgesellschaftliches Engagement – und das zwingend und dringend. Die gute Nachricht lautet: Was sich derzeit als schier unlösbares Problem darstellt, ist die Chance für eine vielschichtige Veränderung. Jeder Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zählt. Ganz in diesem Sinne liefern die Gewinner/-innen der diesjährigen ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture wertvolle Impulse.

Sie überzeugen mit Projekten, die den Bestand revitalisieren, Flächen in der Stadt in vielfältig nutzbare Freiräume verwandeln, nachhaltige Baumaterialien sowohl konstruktiv als auch gestalterisch überraschend einsetzen und nicht zuletzt innovative Techniken integrieren. Allen gemeinsam ist der Fokus auf die bioklimatischen und identitätsstiftenden Bedingungen des Objekts und seines Standorts. Orientieren wir uns an natürlichen Kreisläufen, liegt das ganzheitliche Denken in Prozessen und die Betrachtung von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus nahe. Dann werden verbaute Materialien nach dem Rückbau eines Gebäudes nicht mehr deponiert, sondern dienen kommenden Projekten als Mehrwert. Als „Urban Mining“ direkt vor Ort wiederverwendet, entfallen sogar die Transportwege.

Trend #1: It’s the material that matters!
Das zunehmende Bewusstsein für die mannigfaltigen Qualitäten ökologischer Baustoffe befeuert das Ausloten ihrer Potenziale. Längst hat sich gezeigt, was lange unmöglich schien: Konstruktiver Holzbau ermöglicht inzwischen Hochhäuser mit über 85 Metern! Neben den architektonischen Qualitäten und dem zeitlosen Design sprechen für Holz dessen Qualitäten auf gesundheitlicher und emotionaler Ebene: Holz verbindet Menschen mit der Natur. Ob im Neubau, bei der Erweiterung oder als Fassade – Holz setzt in seiner Vielseitigkeit und seinem lebendigen Ausdruck spannende Akzente und bringt das „Weiche“ in die von eher „harten“ Materialien geprägten Städte. Die Gewinnerprojekte der ICONC AWARDS: Innovative Architecture 2022 beweisen, welch vielseitiges Spektrum an ökologischen Baustoffen neben Holz zum Einsatz kommen kann.

Trend #2: Auf den Umgebungskontext kommt es an
Nach Wachstum und Fortschritt stehen wir nun vor einem Erneuerungskurs: Gerade in Städten und vor allem in den wirtschaftsstarken Ballungsräumen wird für immer mehr Menschen Lebens- und Arbeitsraum benötigt. Erklärtes Ziel ist es, statt auf Flächenwachstum zu setzen, bestehende Strukturen zu optimieren und zu erweitern. Es gilt, Strategien für eine effiziente Stadtnutzung zu entwickeln und die Stadt von innen heraus zu erneuern. Das bedeutet, den Bestand aus seinem zeitlichen Kontext heraus grundsätzlich und im ersten Schritt zu würdigen, ihn wertzuschätzen. Wesentlich ist nicht dessen Leistungsfähigkeit ausschließlich gemessen an aktuellen Standards. Vielmehr ist das Potenzial an Zeitlosigkeit und Offenheit für eine intelligente und ressourcenschonende Weiterentwicklung ausschlaggebend. Eine ganze Reihe aktueller Projekte widmen sich diesen vorherrschenden Strömungen und beweisen eindrucksvoll, wie vielseitig nachhaltige Architektur aussehen kann.

Zeitgemäße Umnutzung
Für das Projekt Stable Conversion verwandelten Link Architectes einen Stall in ein modernes Wohnhaus mit fließend ineinander übergehenden Räumen auf 90 m². Die ehemalige Behausung für Transportpferde grenzt an ein dazugehöriges Postgebäude aus dem 18. Jahrhundert. Oberhalb des Genfer Sees in der Gemeinde Montreux gelegen, fügt sich das umgebaute und erweiterte Gebäude mit Innenhof in ein enges Gefüge an Altbauten. Die Architekt/-innen nutzen die beiden sichtbaren Fassaden für eine moderne Interpretation der bestehenden Struktur. In die neue Südfassade aus rauem Mauerwerk sind unterschiedliche Fensterformate mit markanten Rahmungen aus Holz und Beton eingelassen. An der Ostfassade mit der ehemaligen Kutscheneinfahrt markiert ein konstruktiver Betonbogen den Hauptzugang. Im Erdgeschoss dominieren Steinwände den Koch- und Essbereich, die beiden Obergeschosse mit den Wohn- und Schlafräumen sind fast komplett in Holz ausgebaut. Das Statement der Jury: „Ein sowohl von außen als auch von innen toll gestalteter Entwurf, der sich in den Bestand respektvoll und harmonisch einfügt und gleichzeitig mit einer eigenen unverwechselbaren Identität überzeugt.“

Neubau in altem Gemäuer
Wie historische Fragmente einer Industrieanlage weitergebaut zu einem zukunftsweisenden Ort für Kultur werden, der Synergien bündelt, Ressourcen minimiert und langfristig Kosten einspart, zeigt der Kulturbahnhof Aalen von a+r Architekten eindrücklich. Mit feinem Gespür integrierten die Architekten die nach einem Brand verbliebene Bausubstanz in die moderne Architektur. Dabei ersetzten sie die in weiten Teilen zerstörte Fassade durch eingefärbten Sichtbeton und bauten die Dächer der kurzen Quergiebel nach historischem Vorbild wieder auf. Den Längsgiebel ersetzten sie durch einen langen, mit gefaltetem Lochblech verkleideten Quader. Im Gegensatz zur historischen Sandstein-Fassade, die ornamental handwerklich und massiv wirkt, ist der aufgesetzte Quader schlicht und zurückhaltend gestaltet. Die leicht transparente Attika-artige Verkleidung erinnert in ihrer senkrechten Struktur an einen Theatervorhang. Tragende und aussteifende Boxen zonieren den entkernten Raum in Funktionsbereiche. Während die großen Säle und öffentlichen Bereiche im Altbau untergebracht sind, befindet sich im aufgesattelten Neubau die Musikschule und Theaterwerkstätten. „Mit dem Entwurf für den Kulturbahnhof Aalen bewahrten a+r Architekten ein Stück Aalener Bahngeschichte und schufen zugleich ein zeitgemäßes Kulturgebäude, das die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet“, begründet die Jury ihre Entscheidung.

Neue Landschaft im Urbanen
Nicht erst die Pandemie hat den Ruf nach Erholungsräumen in den Städten laut werden lassen. Erst vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission weitreichende Maßnahmen für eine ökologische Wiederbelebung des Kontinents gefordert. Der von Turenscape realisierte Floating Forest Fish Tail Park in Nanchang City in der Provinz Jiangxi inspiriert die Landschaftsarchitektur-Projekte der Zukunft: Brücken, Stege und Plattformen machen die 126 Hektar große, zuvor stark geschädigte Seenlandschaft wie einen Park begehbar. Besucher/-innen finden Raum für Erholung und erleben die Natur unmittelbar. Bewaldete Inseln in der Seenlandschaft regulieren Überschwemmungen und schaffen neuen Lebensraum für Wildtiere.

Klimaschutz im architektonischen Entwurf
Die Jury des ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture überzeugte ein Magazin-Neubau, dessen Klimakonzept eine optimale Klimastabilität der Archivräume durch passive Maßnahmen abzielt. Waechter + Waechter Architekten BDA ordneten alle Magazinräume im Historischen Archiv und Rheinischen Bildarchiv in Köln kompakt in einem kubischen Baukörper an. Die Innen- und Außenwände aus starkem Stahlbeton speichern Wärme und reduzieren nutzungsbedingte Temperaturschwankungen. Außenwände und Dachdecke sind für eine ‚Hüllflächentemperierung‘ vorgesehen: Durch wasserführende Rohrleitungen in den Massivbauteilen werden die Magazinräume je nach Erfordernis schonend und gleichmäßig gekühlt oder beheizt. Nach außen erscheinen die Fassaden mit der ‚brise soleil’ aus vertikalen und horizontalen Lamellen je nach Blickwinkel offen und geschlossen zugleich. Auf diese Weise wird das Tageslicht optimal genutzt und die tiefen Laibungen schützen die Räume vor direkter Sonneneinstrahlung. Mit ihrer changierenden Farbigkeit der Baubronze und dem Licht- und Schattenspiel trägt die Fassade auf nachhaltige Weise wesentlich zur Erfüllung der hohen energetischen und konservatorischen Anforderungen an das Raumklima bei. Die Jury lobte sowohl das durchdachte Klimakonzept als auch die nachhaltige Gestaltung des Neubaus: „Durch die konsequente Klarheit in der streng geradlinigen Architektur erscheint das Ensemble in jeder Hinsicht zeitlos und strahlt eine besondere Ruhe aus, die sich im Innern fortsetzt.“

Holz als Verbindungselement
Mit dem Umbau eines ehemaligen Kuhstalls der denkmalgeschützten Stanbridge Mill in eine Bibliothek zeigt das britische Büro Crawshaw Architects, welch beindruckende Raumwirkung aus der Verbindung traditioneller und moderner Holzbearbeitung entstehen kann. Ein wunderschönes architektonisches Kleinod, „das vor allem mit seinem bemerkenswerten Interior Design überzeugt.“, schreibt die Jury begeistert. Für das nachhaltige Architekturprojekt wählte das Architekturbüro eine Holzkonstruktion, die in das lange und schmale Gebäude partiell einen Rundbogen integriert. In Anlehnung an die ursprüngliche Funktion des Gebäudes wurden massive Eichenholzteile mit Ästen, Flecken und etwas Faserholz mit Techniken der bäuerlichen Tischlerei verbaut. Die Konstruktion ist auf einfache Profile beschränkt, die in traditioneller Zimmermannmanier zusammengefügt wurden. Auch die Beschläge erinnern an die Tradition handgeschmiedeter, im Feuer geschwärzter Eisenwaren. Beheizt wird die Bibliothek mit Biomasse und über ein passives Belüftungssystem mit Frischluft versorgt.

Leichtes Metall wird zum Gestaltungsfaktor
Und wieder ist es die unmittelbare Natur, die inspiriert: Angelehnt an den berühmten Stone Forest entwarfen die Architekten One Plus Partnership skulpturale Installation aus gelochten Blechen für den Eingangsbereich des GEMDALE Corporation-Bürogebäudes in Kunming. Die Bleche inszenieren nicht nur das Bild versteinerter Bäume, sie ahmen als Paneele an der Fassade auch die Kontur der Berggipfel in abstrahierter Form nach. Das Projekt verdeutlicht, wie flexibel anpassbar Lochbleche an die gestalterischen Anforderungen sind: Sie können sowohl kühle Eleganz als auch harmonische Wärme vermitteln. Licht- und luftdurchlässig, langlebig und ressourcenschonend werden sie zu einem beliebten Baustoff mit Zukunftspotenzial. „Eine tolle Arbeit, die Natur und Architektur auf außergewöhnliche Art und Weise vereint“, lobt die Jury.

Die ICONIC AWARDS 2022: Innovative Architecture werden im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung am 5. Oktober 2022 in München verliehen.

Einen umfassenden Überblick über alle Gewinnerprojekte erhalten Sie in der Online-Galerie.

Rat für Formgebung
Der Rat für Formgebung agiert seit 1953 als weltweit führendes Kompetenzzentrum für Kommunikation und Wissenstransfer im Bereich Design, Marke und Innovation. Mit internationalen Angeboten, Nachwuchsförderungen und Mitgliedschaften ist er Teil der globalen Design-Community und trägt seit jeher dazu bei, Austausch und Netzwerke weltweit zu etablieren. Seinem Mitgliederkreis gehören aktuell mehr als 350 Unternehmen an.

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